„Stärkung des Demokratiebewusstseins und der Partizipation durch interkulturelle Teilhabe“

Foto: Manfred Horn

Jede und jeder kennt das, es sind Wahlen und überall hängen Plakate mit Wahlversprechen. Aber sind das wirklich auch die Themen, die Bürgerinnen und Bürger und speziell Kinder und Jugendliche beschäftigen? Genau diese Frage stellten sich auch die drei Bündnispartner aus Bielefeld im Vorfeld der Kommunalwahlen in NRW. Mit einer festen Gruppe von Kindern und Jugendlichen aus dem „Treffpunkt Liebigstraße“ starteten sie deshalb das Projekt „Stärkung des Demokratiebewusstseins und der Partizipation durch interkulturelle Teilhabe bei 10 bis 14-Jährigen“. Das Projekt ist eine Mischung aus didaktischen Elementen demokratischer Bildungsarbeit, musikalischer Auseinandersetzung mit Interkulturalität sowie darstellender Kunst anhand von Ebru-Bildern, aus denen eigene Wahlplakate für die Kommunalwahl entwickelt wurden. Die Ebru-Bilder gestalteten die Kinder und Jugendlichen unter Anleitung des Künstlers Mutlu Yilmazer. Ebru bezeichnet eine traditionelle Form des Marmorpapiers: Auf eine spezielle Flüssigkeit werden Farben aufgetragen und zu Schlierenmustern verquirlt. Diese Farben schwimmen auf der Flüssigkeit, sodass mit Papier Abzüge von den Mustern erstellt werden können.


(Foto: Manfred Horn)

Wahlplakate – so bunt wie möglich

Projektleiter Erhan Kara von der Gesellschaft für Sozialarbeit im Paritätischen Wohlfahrtsverband e.V. (GfS) erzählt, das Projekt und die entwickelten Wahlplakate sollten „so bunt wie möglich sein, um die multikulturelle Gesellschaft im Stadtteil abzubilden“. Am Projekt haben Kinder und Jugendliche zwischen 10 und 14 Jahren teilgenommen. Alle sind regelmäßige Besucher*innen des Jugendtreffs und haben eine Migrationsgeschichte. Kara findet es schade, dass niemand ohne Migrationsgeschichte am Projekt teilgenommen hat: „Das erschwert die Integrationsarbeit, ein gemischtes Publikum wäre besser“.

Die Teilnehmenden entwickelten im Projekt Fragebögen, mit denen sie im Stadtteil unterwegs waren, um Bürgerinnen und Bürger zu befragen. In über 100 Interviews kamen die Teilnehmenden mit den Bürgerinnen und Bürgern ins Gespräch. Die Themen, die diesen am meisten unter den Nägeln brannten, waren Mangel an bezahlbarem Wohnraum, marode Straßen, schlechte Parkmöglichkeiten und fehlende Unterstützung für Alleinerziehende. „Auffällig war, dass die Menschen sehr damit beschäftigt waren, dass ihre elementaren Bedürfnisse wie z.B. bezahlbare Wohnungen oder Parkmöglichkeiten beschäftigt waren. Themen wie das soziale Miteinander im Stadtteil oder Probleme mit Rassismus und Diskriminierung standen daher eher an zweiter Stelle“, so Kara.

Mehrfachnennungen wurden aus den Interviews herausgefiltert und plakatiert. Hierzu wurden Plakate mit möglichst bunten und vielfältigen Ebru-Designs entworfen, um die Diversität des Stadtteils abzubilden. Insgesamt wurden 50 Plakate mit unterschiedlichen Motiven gestaltet und mit den meistgenannten Themen der befragten Bevölkerung im Stadtteil aufgehängt. Ziel war es, die Wünsche der Bevölkerung auf den selbst gestalteten Wahlplakaten abzubilden.


(Foto: Manfred Horn)

Stärkung des Demokratiebewusstseins

Die Bündnispartner mussten zu Beginn des Projektes feststellen, dass bei den Teilnehmenden „überhaupt kein Wissen und auch kein Interesse an den Themen da war“, so Kara. Er spricht ein besonderes Lob an die Fachkräfte aus, die sich mit viel Engagement und Leidenschaft, auch über die bezahlten Stunden hinaus, in das Projekt eingebracht haben und den Teilnehmenden so die Thematiken „(Kommunal-)Politik“ und „Demokratiebewusstsein“ näherbrachten. Kara sieht hier auch langfristige Erfolge. Die Teilnehmenden sprachen auch später oft über die Themen und waren begeistert vom Projekt. Sie haben beispielsweise gelernt, wie Kommunalpolitik funktioniert und was die Kompetenzen und Aufgaben eine*r Bürgermeister*in sind.

Projektdurchführung in Coronazeiten

Durch die Corona-Bestimmungen musste das Projekt in einigen Punkten angepasst werden. Kara hätte das Projekt gerne mit noch mehr Kindern und Jugendlichen in weiteren Stadteilen durchgeführt, „schließlich findet die Wahl in ganz Bielefeld statt“. Aufgrund der Corona-Bestimmungen konnte das Projekt aber nur mit weniger Teilnehmenden als geplant stattfinden. Im Rahmen der Interviews konnten nicht wie geplant Jugendeinrichtungen besucht werden, um die Kinder und Jugendlichen vor Ort zu befragen.
Um sich noch intensiver mit den Themen auseinanderzusetzen und mehr Zeit für die Kinder und Jugendlichen und für Freizeitaktivitäten zu haben, war ursprünglich eine Ferienfreizeit vorgesehen. Die Corona-Bestimmungen machten dem Bündnis aber einen Strich durch die Rechnung. Die Ferienfreizeit mit Übernachtung auf einem Schulbauernhof konnte nicht wie geplant stattfinden, stattdessen wurde in Absprache mit dem BV NeMO ein Ferienkurs im Jugendtreff durchgeführt.

Auch in Hinblick auf die geplante Abschlussveranstaltung musste aufgrund von Corona umdisponiert werden. Die gemalten Ebru-Bilder und die erstellten Wahlplakate sollten ausgestellt und mit einer musikalischen Aufführung begleitet werden. Stattdessen wird nun ein Video produziert, in welchem das Projekt vorgestellt wird. Einen Einblick in das Projekt gibt dieses Video auf der Facebookseite der Gesellschaft für Sozialarbeit.

„Warum gibt es das Projekt nicht schon längst?“

Die Zusammenarbeit im Bündnis nennt Kara „sehr angenehm“. Profitiert habe man davon, dass sich sowohl die Bündnispartner als auch die meisten eingesetzten Fachkräfte schon zuvor kannten. Das Bündnis plant auch in Zukunft weitere Projekte gemeinsam durchzuführen. Das Projekt wurde von allen Seiten sehr positiv aufgenommen, in der GfS-Zeitung „Einblick“ wurde das Projekt vorgestellt und auch die lokale Presse berichtete darüber. Die einhellige Meinung der Projektbeteiligten und Befragten war: „Warum gibt es das Projekt nicht schon längst?“

Kara betont: „Bielefeld ist wahrscheinlich die erste und einzige Stadt Deutschlands und vielleicht der Welt, in der Wünsche und Forderungen der Bürger*innen als Pendant zu den Wahlplakaten abgebildet werden“. Kara wünscht sich, dass das Projekt Schule macht und zum Standard bei Kommunalwahlen wird: „Mit Projekten wie diesem kann man die Bürgerinnen und Bürger mitnehmen, ihr Demokratieverständnis stärken und gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen“. Im kommenden Jahr sollen die Projektteilnehmenden die Möglichkeit erhalten, sich persönlich mit dem Bürgermeister zu treffen. Dann wird natürlich eine Frage im Mittelpunkt stehen: „Werden die Wünsche aus den Wahlplakaten berücksichtigt?“

Kara empfiehlt Bündnissen, die ein „Kultur macht stark“-Projekt starten wollen, sich mit dem Projektbüro in Verbindung zu setzen und beraten zu lassen. So ließen sich die meisten Fragen einfach klären.

Kontakt: Erhan Kara,



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Format: Regelmäßiges Angebot und Ferienfreizeit
Bündnispartner: Gesellschaft für Sozialarbeit im Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband Bielefeld e.V., AWO Kreisverband Bielefeld e.V., ZENTRUM TEMPUS Bielefeld e.V.
Stadt: Bielefeld