„Graffiti für alle!“

Foto: Markus Niethammer

Bei Graffiti denken manche vielleicht zuerst an lieblose Schmierereien auf Hauswänden und Klotüren, oder auch an eindrucksvolle, aber illegale Schriftzüge an U-Bahnen oder Unterführungen. Darüber hinaus ist Graffiti aber eine weltweit verbreitete Kunstform, die auch abseits von Sachbeschädigung funktioniert. Diese Perspektive wollte das Reutlinger Bündnis aus Bildungszentrum in Migrantenhand [BiM] e.V., mediakids e.V. sowie franz.K e.V. befördern und organisierte ein sechsmonatiges Kunstprojekt zum Thema. Die Medienpädagogin und Vorsitzende von mediakids e.V., Petra Hermansa, hebt die Besonderheit von Graffitikunst hervor: „Graffiti ist eine globale Kunstform und eröffnet dadurch interessante Kontexte. Unser Projekt war in vielerlei Hinsicht transkulturell.“ Sowohl die Teilnehmenden und viele der beteiligten Künstler*innen haben eine Migrationsgeschichte – in dem Projekt begegneten sich so vielfältige Herkünfte wie Syrien, Pakistan, Bulgarien, Peru oder Italien – und konnten so gemeinsam Kunst erschaffen, die Staatsgrenzen überschreitet. Die Kinder und Jugendlichen brachten ihre eigenen Hintergründe und Erfahrungen ein und gestalteten dadurch transkulturelle Kunst, z.B. durch vielfältige Schriftzeichen.

„Alles was von außen kommt, tut schon, aber nicht so gut.“

Das Projekt gliederte sich dabei in zwei Teilbereiche: Eine Teilnehmendengruppe lernte den richtigen Umgang mit Sprühfarben, entwarf Schriftzüge und machte zu Recherchezwecken Exkursionen zu sehenswerter Graffitikunst. Die zweite Gruppe begleitete das Graffiti-Projekt dokumentarisch, machte Filmaufnahmen und Fotos, interviewte Graffiti-Künstler*innen vor ihren Werken und fügte alles schließlich im Filmschnitt zusammen. Die Kinder und Jugendlichen konnten sich dadurch einen Bereich aussuchen, der ihren persönlichen Interessen entspricht und trotzdem gemeinsam an einem Projekt arbeiten. Eine Besonderheit und für Hermansa entscheidend für den Erfolg des Projekts war, dass die Idee von einigen Teilnehmenden selbst stammte: „Auf solche Impulse muss man eingehen. Alles was von außen kommt, tut schon, aber nicht so gut.“ Zwar gebe es einige öffentliche Spraywände, doch fehle es oftmals an Geld und Know-How, erklärt Hermansa weiter. Das Projekt ermöglichte somit für viele der Teilnehmenden erstmalig eine Auseinandersetzung mit dem Thema. Tatsächlich stellten der Umgang mit den giftigen Farben, das Hantieren mit Schutzkleidung und die Arbeit in einer relativ großen Gruppe einen großen organisatorischen Aufwand dar und waren auch für den betreuenden Künstler Julius Zenker mitunter eine Herausforderung. „Zwar machte die Gruppengröße vieles komplizierter. Andererseits entstand aber erst durch diese Vielfalt eine gute Dynamik“, so Hermansa. Die Teilnehmenden seien mit großer Energie und Motivation dabei gewesen. Insbesondere für einige der teilnehmenden Mädchen habe das Projekt sehr empowernd gewirkt: „Die wollten gar nicht mehr aufhören“, erzählt sie.

Ein Dokumentarfilm ermöglicht Selbstreflexion und sichert Nachhaltigkeit

Auch das Dokumentarfilm-Projekt habe den Teilnehmenden neue Perspektiven eröffnet, beschreibt die Projektleiterin vom BiM e.V., Galina Lerner. „Über sich selbst im Film zu erzählen war eine Reflexionsebene, die viele vorher nicht kannten. Im Film konnten sie sich selbst erklären und ihre Welt zeigen.“ Durch den Dokumentarfilm werde zudem die nachhaltige Bewahrung der Projektinhalte ermöglicht. Aufgrund der Corona-Krise konnte die geplante Abschlusspräsentation leider nicht wie geplant stattfinden. Dies sei insbesondere schade, weil mit der Alten Paketpost in Reutlingen ein ganz besonderer Ort dafür gewonnen werden konnte. Eigentlich sollte dort neben dem Dokumentarfilm ein 25m2 großes Wandbild gezeigt werden, das die Kinder und Jugendlichen durch demokratische Entscheidungsfindung gemeinsam gestaltet haben. Derzeit suchen die Bündnispartner nach digitalen Alternativen oder einem späteren Termin.

„Alle müssen hinter dem Projekt stehen, nur dann macht es Spaß“

Auch wenn sich franz.K e.V., ein soziokulturelles Zentrum im alten französischen Kino Reutlingen, aufgrund der abgesagten Abschlussveranstaltung nicht so intensiv wie geplant im Projekt einbringen konnte, habe die Zusammenarbeit im Bündnis sehr gut funktioniert. Hermansa hebt entsprechend auch die sorgfältige Wahl der Bündnispartner hervor. Wenn schließlich ein Großteil der Arbeit an einer Organisation hängen bleibe, führe dies schnell zu Überforderung. Auch die Projektleiterin Lerner rät dazu, geplante Projekte für alle beteiligten Bündnispartner interessant zu gestalten: „Alle müssen hinter dem Projekt stehen, nur dann macht es Spaß und Absprachen werden eingehalten. Wenn es einer Seite egal ist, ob ein Projekt gut läuft oder nicht, wird die Zusammenarbeit schnell zäh.“ Darüber hinaus komme es natürlich auch auf kompetente Fachkräfte an. „Die müssen wissen, was sie tun und authentisch sein. Einerseits unterstützen, andererseits aber auch mal machen lassen. Letztlich sollte man aber nicht nur prozessorientiert arbeiten, sondern auch ein gutes Ergebnis erzielen, das ist auch für die Teilnehmenden wichtig“, ergänzt Hermansa.
Auch wenn die Präsentation bis auf weiteres nicht stattfinden kann: Die Teilnehmenden stehen nach wie vor in Kontakt. Viele haben bislang unbekannte Talente entdeckt und wurden dank des Projekts darin gefördert. Für zwei Jugendliche aus dem Filmprojekt haben sich sogar neue Berufsperspektiven eröffnet. Und die Abschlussveranstaltung wird hoffentlich bald nachgeholt.

Kontakt: Galina Lerner, galina.lerner@bim-rt.de



--
Format: Regelmäßiges Angebot
Bündnispartner: Bildungszentrum in Migrantenhand e.V., mediakids e.V., franz.K e.V.
Stadt:Reutlingen