„MiMiMi – ein Filmprojekt über Familiengeschichten, Herkunft und Identität“
Art Vision Production UG / Arton Veljiu und Fotos von Leonie Schydlo
In seinem Song „Mimimi“ rappt der Musiker Samy Deluxe:
„Sie nennen uns Mimimis
Mitbürger mit Migrationshintergrund
Viele von uns sind hier geboren
Doch die Herkunft steht immer im Mittelpunkt“
Diese Songzeilen beschreiben eine Erfahrung, die vielen Menschen mit Migrationsgeschichte vertraut sein dürfte. Größere mediale Aufmerksamkeit erzielte die Thematik zuletzt im Sommer 2018, als auf dem Mikroblogging-Dienst Twitter unter dem Hashtag #MeTwo, der von dem Sozialaktivisten Ali Can ins Leben gerufen wurde, eine große Anzahl von Menschen ihre Erfahrungen mit Alltagsrassismus und Diskriminierung publik machten. Inspiriert von diesen Ereignissen führten die Bremer Bündnispartner Moves gUG, Bürgerhaus Oslebshausen e.V., Stadtkultur Bremen e.V. sowie der Syrische Exil Kulturverein SEKU e.V. gemeinsam ein umfangreiches Medien- und Theaterprojekt im Rahmen von „InterKulturMachtKunst – KunstMachtInterKultur“ durch.
Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte
Insgesamt 15 Jugendliche mit Migrationsgeschichte zwischen 13 und 18 Jahren setzten sich über ein halbes Jahr hinweg mit Fragen nach der eigenen Identität und der Bedeutung von Herkunft innerhalb einer Migrationsgesellschaft auseinander. Fast alle Teilnehmenden sind in Deutschland geboren, wohingegen ihre Eltern aus den verschiedensten Ländern immigriert sind. Die einzelnen Jugendlichen hätten also kaum vielfältiger sein können – nicht nur hinsichtlich der großen Altersspanne und der diversen Herkünfte. Auch was die bisherige Auseinandersetzung mit der eigenen Familiengeschichte betrifft, gab es eine große Spannbreite: „Von Kindern, die gar nicht genau wussten, was der Begriff ‚Migration‘ bedeutet, bis hin zu solchen, welche die Lebensgeschichte ihres Ur-Ur-Opas wiedergeben konnten, war wirklich alles dabei“, erzählt die Projektleiterin Anne Kauhanen von moves gUG. Für den Erfolg solcher Projekte sei es daher entscheidend, die Inhalte an der Lebenswirklichkeit der Jugendlichen auszurichten und Themen zu wählen, welche die Zielgruppe unmittelbar ansprechen.
Ein Sprung ins kalte Wasser
Die Projektleitung war zunächst darauf bedacht, ein Vertrauensverhältnis innerhalb der Gruppe entstehen zu lassen. „Wir beginnen bei solchen Projekten gerne mit Wissensvermittlung, wie z.B. technischem Know-How oder Medienkompetenz. Im Laufe dieses Prozesses entsteht dann allmählich eine positive Gruppendynamik, die es auch erlaubt, sensiblere Themen anzusprechen“, verrät Kauhanen, „denn diese Vorgehensweise – ‚von steril bis ins Gefühl‘ sozusagen – hat sich schon vielfach bewährt.“ Als wichtiger Faktor erwies sich auch die eigene Migrationsgeschichte der Künstler, die das Projekt leiteten: Der kosovarisch-deutsche Künstler Arton Veljiu; Chi Thanh Pham im Bereich Kamera und Postproduktion sowie der Rap- und Poetry Slam-Künstler Adrian Adu. Dennoch – der Einstieg in die konkrete inhaltliche Auseinandersetzung war absichtlich „ein Sprung ins kalte Wasser“, wie Kauhanen lachend erzählt. „Wir hatten im Vorfeld vermutet, dass manche Jugendliche kaum etwas über ihre eigene Familiengeschichte wissen würden. Und tatsächlich, als alle ohne Vorbereitung ihren Familienstammbaum aufmalen sollten, wurde schnell der Telefonjoker namens ‚Mama‘ angerufen.“ Auch für die Eltern waren die durch das Projekt aufgeworfenen Fragen nicht immer einfach, in manchen Familien war die Migrationsgeschichte bislang eher tabuisiert worden. Doch auch hier hatte das Bündnis eine Idee: Bei der Abschlussveranstaltung trugen die Kinder und Jugendlichen traditionelle Kleidung aus der Heimat ihrer Eltern. „Das war für viele ein bewegender Moment, diese Mischung aus Tradition und neuer Heimat“, beschreibt Kauhanen.
Kunst als verbindendes Element
Ursprünglich als reines Videoprojekt geplant, entwickelte sich daraus auf Initiative der Teilnehmenden schließlich eine interdisziplinäre Ausstellung aus Fotos, Videos und Texten sowie einer Performance mit Theater, Rap und Poetry Slam-Elementen, erklärt Kauhanen: „Die Jugendlichen waren mit großer Begeisterung und Offenheit dabei und bekamen im Verlauf des Projekts Lust, dieser ‚Frage aller Fragen‘ nach der eigenen Identität auch mit anderen Ausdrucksmitteln nachzugehen.“ Das Schauspiel erlaubte den Teilnehmenden, auch sensible Fragen künstlerisch umzusetzen: Werde ich für immer ein ‚MiMiMi‘ bleiben? Oder darf ich mich auch unabhängig von meiner Migrationsgeschichte definieren?
Trotz der Heterogenität der Gruppe bildeten genau diese essentiellen Fragen eine fruchtbare Basis für den interkulturellen Austausch und Zusammenhalt unter den Teilnehmenden selbst, beschreibt Kauhanen. „Vor allem ist es aber die Kunst. Sie ist immer noch das beste Mittel, um eine Verbindung entstehen zu lassen.“ Der Erfolg des Projekts untermaure dabei die Notwendigkeit solcher Angebote für Kinder und Jugendliche. Ein kritischer Faktor sei in diesem Kontext die Teilnehmenden-Akquise. Neben der üblichen Ausschreibung über Webseiten und Soziale Medien sei in erster Linie der persönliche Kontakt zur Zielgruppe und die Nutzung von bestehenden Netzwerken entscheidend. Unterstützung kam dabei von Bündnispartner SEKU e.V., einer jungen Migrantenorganisation, mit der moves gUG im Rahmen des Projekts erstmals zusammenarbeitete. „Die Kooperation erwies sich als echter Glücksgriff. Wir planen bereits das nächste gemeinsame Projekt“, freut sich Kauhanen. Doch auch die Zusammenarbeit mit den anderen Bündnispartnern sei sehr erfreulich verlaufen, was nicht zuletzt an der teils seit Jahren bestehenden, engen Zusammenarbeit gelegen habe. Das Bürgerhaus Oslebshausen e.V. unterstützte das Projekt u.a. durch Räumlichkeiten und Equipment und half bei Öffentlichkeitsarbeit sowie Teilnehmenden-Akquise. Stadtkultur Bremen e.V. war ebenfalls bei der Öffentlichkeitsarbeit sowie der Sicherung der Projektergebnisse eingebunden.
Migrationsgeschichte als Potenzial
Durch das Projekt haben die Teilnehmenden gemeinsam mit den Bündnispartnern gezeigt, dass der berüchtigte ‚Migrationshintergrund‘ nicht bloß ein reduzierendes Etikett sein kann, „sondern vielmehr eine Stärke und ein enormes kreatives Potenzial“, betont Kauhanen. Wie auch im für das Projekt titelgebenden Song „Mimimi“ oder beim Hashtag #MeTwo dient Kunst schließlich nicht nur der Reflexion nach innen, sondern auch der Kommunikation nach außen. Die Jugendlichen konnten dank des Projekts ihre persönliche Geschichte nach außen tragen und ein Zeichen gegen Diskriminierung und Vorurteile setzen: „Deshalb ist es unheimlich wichtig, dass es solche Angebote gibt und insbesondere Jugendliche zur Auseinandersetzung mit diesen Themen angeregt werden.“ Dies ist den Bündnispartnern zweifelsohne mehr als gelungen.
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Format: Regelmäßiges Angebot
Bündnispartner: Moves gUG, Bürgerhaus Oslebshausen e.V., Stadtkultur Bremen e.V., Syrischer Exil Kulturverein SEKU e.V.
Stadt:Bremen